LULU

Henrike Jacobs ist die Lulu. Ernö Weil inszenierte die Oper von Alban Berg. In den Städtischen Bühnen Münster hatte sie am Sonntag (31. Januar 2010) Premiere. Foto: Michael Hörnschemeyer Dutzende Bilder nackter Frauen mit Tierköpfen huschen über die Leinwand. Barbusige Eidechsen- und Tigerfrauen. So rasch werden sie projiziert, dass man sie kaum fassen kann, aber immerhin lang genug, um gierig zu werden auf eine Freakshow, auf monströse Kreaturen, schaurige Gestalten und Geschöpfe. Doch statt einer Chimäre wird Lulu auf die Bühne gefahren: tot auf einer Bahre liegend.Lulu in der GerichtsmedizinRegisseur Ernö Weil hat die Anfangsszene von Alban Bergs Oper raffiniert umgedeutet. Es ist eine starke Szene. Der ursprüngliche Tierbändiger ist bei ihm ein Gerichtsmediziner, seine Menagerie wird zur Pathologie, die Präsentation der Lulu als das „Urweibliche“ wird zur Entblößung ihrer Leiche. Ist das „Urweibliche“ damit tot? Müssen wir Geschlecht und Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft neu gebären? Zumindest nimmt Ernö Weil hier bereits das Ende der Figur vorweg: Lulu wird in einem Leichenschauhaus enden, aufgeschlitzt von Jack the Ripper.Inszenierung von Ernö Weil aus RegensburgDie Inszenierung ist nicht neu. Der Regensburger Intendant hat seine heimische „Lulu“ nach Münster auf die Städtischen Bühnen transformiert. Unspektakulär geblieben ist dabei das Bühnenbild. Das stets mit kargen Requisiten ausgestattete Zimmer, mal im 60er-Jahre-Schick, mal zeitlos, bietet keine Bildgewalt. Doch die Inszenierung und Personenführung ist gut durchdacht. Und das münstersche Ensemble meistert seine Erzählung formidabel. Selbst die grelle, sperrige und spröde Musik erhebt sich aus der Unverständlichkeit.Allen voran: Henrike Jacob. Sie ist als Lulu betörend. Bei ihr hört sich die höllische Partitur kinderleicht an. Die vertrackten Koloraturen nimmt sie mit einer ungeheuren Selbstverständlichkeit. Es ist ein Ereignis, ihr zuzuhören und sie dabei so überzeugend spielen zu sehen. Sie füllt all die Frauenfiguren aus, die Weil der Lulu im wahrsten Sinne auf den Leib schneidern ließ. Jacob wechselt hier Klamotten, Schuhe und Frisuren noch häufiger als ihre Männer (Kostüme und Bühne: Daniel Dvorák).Lulu ist Marilyn MonroeSie ist die Lolita mit Zöpfen und Babydoll. Sie ist eine Marilyn Monroe, die erotische Lockung schlechthin mit üppig wallendem Blondhaar. Sie ist auch die strenge Femme fatale und die Diva. Sie ist dunkler Vamp mit schwarzem Haar, stark, männlich, mit hautengen Hosen. Sie ist devote Geliebte. Sie ist Opfer sexueller Gewalt. Sie ist die mondäne Schickse mit auftoupiertem Kopf. Und sie ist die Hure auf pinken Plateaulackstiefeln.Undeutliches Bild Die wenig gespielte dreiaktige Fassung dauert immerhin gut dreieinhalb Stunden. Nach denen gab es dann großen Applaus. content_video(0);
...Ernö Weil hat die Oper effektvoll in Szene gesetzt, bei der Bühnengestaltung und den Kostümen von Daniel Dvorak einfallsreich unterstützt. Zudem und vor allem ist mit Henrike Jacob eine Sopranistin zur Stelle, die sowohl stimmlich exzellent auftritt, als auch darstellerisch eine famose Leistung bietet. Die Sehnsucht nach Liebe kommt über. Man merkt, dass sie ihre körperlichen Vorzüge in der Partie als Femme Fatale ohne Scheu ins Spiel einbringt. Der Regisseur gibt ihr die Möglichkeit, die Rolle der Lulu in aller Freizügigkeit und doch kultiviert zu entfalten. Hans Rochol, Die Glocke
…Dvoraks Bilder hingegen, die vom Magritte-Prolog an mit Elementen der Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielen und die Handlung immer etwas näher an die Gegenwart rücken, sind die ideale Spielfläche für Weils bewegte, genaue Inszenierung. Und die setzt ganz auf die Ausdruckskraft eines brillianten Ensembles. Dass Henrike Jacob mit den Koloratur-Anforderungen der Titelpartie klarkommen würde, mochte man von Münsters “Lucia di Lammermoor” erwarten. Wie sie aber das Spektrum vom leuchtenden Spitzenton bis zur rhymtmischen Deklamation ausfüllte, und dabei ein Rollenportrait schuf, das die kindliche Koketterie beim Tod des ersten Gatten in den tragischen Fatalismus des dritten Aktes überführte: Das war fszinierend. Harald Suerland, Westfälische Nachrichten
Überraschend am Premierenabend, wie Henrike Jacob die Titelpartie meistert. Die Lulu ist ja beileibe kein Leichtgewicht, im Gegenteil. Zwischen niedlicher Kindfrau und der eiskalt Mordenden changiert ihre Partie, mal nüchtern deklamierend, mal große Melismen aufspannend. Beides gelingt der Sopranistin auf bemerkenswerte, ja berückende Weise. Chr. Schulte im Walde, Opernnetz.de
Recklinghauser Zeitung. Im Raubtier das Opfer sehenErno Weil lässt Alban Bergs Oper „Lulu“ deutlich im Heute ankommenVON HANNS BUTTERHOFMÜNSTER. Der Prolog zu Alban Bergs nachgelassener, von Friedrich Cerhaum einen dritten Akt ergänzten Oper „Lulu“ spielt mit dem Bild derLulu als tödlich wildem, schönen Tier. So sah sie das vergangeneJahrhundert, ihr literarischer Schöpfer Frank Wedekind eingeschlossen.Und so schreit sie an Münsters Großem Haus der Betreiber einesPanoptikums neben anderen Bizarrerien als anzustaunende Sensation aus.Doch wie die wechselnden Kulissen vom zeitlosen Atelier, glänzendemSalon bis zur düsteren Absteige und die Kostüme Daniel Dvořáks behutsamaus den zwanziger Jahren ins Heute verweisen, so verändert sich derBlick auf die Titelheldin. Deutlich entwickelt sich die Lulu derüberragenden, in den 12-Ton-Koloraturen treffsicheren Henrike Jacobsvon einem durchtriebenen Früchtchen zu einer vollsinnigen Frau vonheute. Sie kämpft um etwas eigentlich Selbstverständliches: um Respektund die Anerkennung als diejenige, die sie ist.

1 Kommentar:

  1. Erstklassiger Auftritt wieder bei euch würde ich sagen.War echt begeistert.Nach meinem Urlaub in der Unterkunft Gerlos freue ich mich wieder von euch zu hören.Grüße Renate

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